Stör-Propaganda oder Satire?

Nach den Kommunikationsguerilla-Aktionen in Schöneberg und Tiergarten findet die Bundeswehr, dass es sich bei den umgebastelten Militär-Werbepostern und dem AKK-Fake von letzter Woche um Satire handelt. Der Berliner Staatsschutz hat hingegen nur drei Werktage gebraucht, um den Fall zur Staatsanwaltschaft weiterzugeben. Begründung: Störpropaganda gegen die Bundeswehr. Ein Text des Kollektivs „Außenwerbung kunstvoll kapern (akk)“, den wir von Indymedia übernommen haben.

Störpropaganda oder Satire? LKA ermittelt nach Adbustings wegen „Störpropaganda gegen die Bundeswehr“

Die Adbusting-Abteilung des Berliner Staatsschutz ermittelt nach dem Auftauchen von veränderten Bundeswehr-Werbeplakaten und der Verteilung eines satirischen Fake-Schreibens wegen „Störpropaganda gegen die Bundeswehr.“ Das Verteidigungsministerium hingegen versucht den Vorfall klein zu halten: „Bei den Postwurfsendungen handelt sich um eine Kunstaktion, welche man offensichtlich dem Formenkreis der Satire zuordnen kann.“ Annegret, die Sprecher*in der Gruppe „Außenwerbung kunstvoll kapern (akk)“ die hinter den Aktionen steckt, sagt dazu: „Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst? Angesichts der tendenziösen Ermittlungen des LKA Berlin sind das leere Worte.“

Adbusting-Aktionen rund ums Kriegsministerium
Die Gruppe „Außenwerbung kunstvoll kapern (akk)“ hatte sich vergangene Woche Werbeposter der Marine ausgeliehen, diese mit neuen Slogans ergänzt und rund ums Kriegsministerium wieder in Werbevitrinen aufgehangen. Statt Rekrut*innen anzuwerben, informieren die Poster nun mit den Slogans „Rumballern statt retten“ und „Volle Kraft voraus in den Klimawandel“ über das massive Ansteigen des Wehretats. „Wir sollten mit dem Geld machen, was wirklich zählt“ sagt Annegret, die Sprecher*in der Gruppe „Außenwerbung kunstvoll kapern (akk)“: „Den Klimawandel verhindern und Menschen im Mittelmeer retten.“ Eines der Poster hängt immer noch an der U-Bahnstation Kurfürstenstraße.

5000 Satire-Schreiben verteilt
Außerdem verteilte die Gruppe in den Wohngegenden in der Nähe des Kriegsministeriums eine Postwurfsendung mit 5000 Exemplaren. Der Flyer zeigt Bilder der Adbustings und der „Kriegsministerin“ Annegret Kramp-Knarrenbauer. Außer dem zusätzlichen „n“ im Namen der Ministerin ergänzte die Gruppe auch das Logo des Ministeriums um ein Sturmgewehr.

Das Schreiben beginnt mit den Worten „Wir kämpfen auch dafür, dass Sie gegen uns sein können“. Die vermeintliche Kriegsministerin auf die Adbusting-Aktionen: „Halten Sie sich auch in Zukunft nicht mit Kritik an der Bundeswehr zurück. Das ist ihr gutes Recht.“

Weiter macht sie auf den am 12. Juni bevorstehenden Tag ohne Bundeswehr aufmerksam und fordert auf, an dem Aktionstag mit eigenen Plakat-Veränderungen teilzunehmen, diese zu fotografieren und in den Sozialen Medien zu teilen, „damit wir Ihre Meinung zur Kenntnis nehmen können.“ Annegret, die Sprecher*in der Gruppe „Außenwerbung kunstvoll kapern (akk)“ erklärt den Sinn der Aktion: „Der Militärische Abschirmdienst MAD führt fette Listen mit Adbusting-Aktionen, weil diese die Bundeswehr kritsieren. Und gleichzeitig stellt sich die Bundeswehr in der Werbung als total kritikfähig dar. Diesen Widerspruch wollten wir aufzeigen.“

Satire oder Störpropaganda gegen die Bundeswehr?
Laut Berichten des Tagesspiegels und der Morgenpost stuft das Verteidigungsministerium die Aktionen als Satire ein. Die LKA-Abteilung 521 mag sich damit offenbar nicht abfinden. Laut Tagesspiegel erstattete ein Bürger wegen der Adbusting-Aktion und den gefälschten Satire-Schreiben Anzeige. Der Vorgang wurde „wegen des Verdachts der Störpropaganda gegen die Bundeswehr vom zuständigen Dezernat des Polizeilichen Staatsschutzes beim Landeskriminalamt, zur strafrechtlichen Würdigung an die Staatsanwaltschaft Berlin gesandt.“ Ein Ergebnis der Würdigung liege noch nicht vor.

Kommissar Adbusting in Aktion
Das LKA 521 war Gegenstand von Medienberichterstattung, weil sich die Beamt*innen zu Weihnachten Nazi-Grüße in ihre Chatgruppe posteten, den islamistischen Attentäter Anis Amri von der Observationsliste strichen, um Hausbesetzer*innen überwachen zu können, Daten von Linken an Nazis weitergaben oder „privat“ Drohbriefe mit „dienstlichen“ Informationen an Aktivist*innen schickten, ohne dass dies ernsthafte Folgen für die Beamt*innen gehabt hätte. Seit 2015 versucht eine Ermittlungsgruppe der LKA-Abteilung 521 auf Teufel komm raus das Verändern von Bundeswehr-Werbung zu kriminalisieren. Begründung: Adbusting mache die Bundeswehr „gar lächerlich“. Deshalb führte das LKA 521 Hausdurchsuchungen und DNA-Analysen durch.

Strafverfolgung scheitert
Besonders viel Erfolg hatten die Beamt*innen nicht: Sämtliche Verfahren versandeten, die Staatsanwaltschaft Berlin stellte in einem Beschluss klar, dass es nicht strafbar ist, eigene Poster in Werbevitrinen zu hängen, da diese ohne Beschädigung mit Rohrsteckschlüsseln aus dem Baumarkt zu öffnen sind.

Selbst wenn Poster gestohlen würde, sei dies nicht wie vom LKA behauptet „schwerer Diebstahl“, sondern ein Bagatelle. Nach Protesten, Kleinen Anfragen und kritischer Berichterstattung strich auch das Bundesinnenministerium 2020 Adbusting aus dem Verfassungsschutzbericht. Auch im Terrorabwehrzentrum GETZ beschäftigte man sich in 2020 nicht mehr mit Adbusting, nachdem dies 2018/19 noch gleich viermal der Fall gewesen war.

„Nach dem Versuch mit dem schweren Diebstahl haben sich die Kommissar*innen von der Adbusting-Abteilung mit der ‚Störpropaganda gegen die Bundeswehr‘ einen Paragraphen herausgekramt, mit dem sie explizit die Kritik an der Bundeswehr kriminalisieren wollen,“ kommentiert Annegret, die Sprecher*in der Gruppe „Außenwerbung kunstvoll kapern (akk)“ die Maßnahme. „Offensichtlich haben sie nicht einmal im Gesetzes-Kommentar nachgeschlagen.“

Prof. Dr. Thomas Fischer: „Die Vorschrift hat keine praktische Bedeutung“
Im einschlägigen Strafrechtskommentar von Prof. Dr. Thomas Fischer heißt es: „Die Vorschrift hat keine praktische Bedeutung“, weil die Tatbestandsmerkmale kaum zu verwirklichen seien (Fischer, Thomas: Strafgesetzbuch und Nebengesetze. Becksche Kurzkommentare. § 109d, RN 1). Tatbestandsmerkmal des §109d „Störpropaganda gegen die Bundeswehr“ ist u.a. „die Behinderung der Bundeswehr bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bei der Landesverteidigung.“ Prof. Fischer betont deshalb in seinem Kommentar, dass die Strafvorschrift nicht für andere Bereiche gelte. Auch eine Einschränkung der Meinungsfreiheit erfolge nicht. Deshalb seien Aussagen wie „die Offiziere sind alle Lumpen“ oder „die Soldaten sollen durch Schinderei und Unterdrückung zum Mord auf andere Völker abgerichtet werden“ nach dieser Vorschrift nicht strafbar (RN 4).

Die Maßnahmen des LKA 521 im Kampf gegen veränderte Werbeplakate wie Hausdurchsuchungen oder DNA-Analysen waren bereits vor einem Jahr vom Verfassungsrechtler Andreas Fischer-Lescano scharf kritisiert worden: „Das Vorgehen gegen spezifische Meinungsinhalte wird von Art. 5 GG grundsätzlich untersagt. Es wird Zeit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Grundsatz auch dann beherzigen, wenn es um Adbusting geht, das sich kritisch mit ihren Praxen und Imagekampagnen auseinandersetzt.“

In nur drei Tagen bis zur Staatsanwaltschaft
Das das Verfahren nach nur drei Tagen schon bei der Staatsanwaltschaft liegt, ist sehr ungewöhnlich. Die haben krass Dampf gemacht“ sagt Annegret von der Aktionsgruppe „Außenwerbung kunstvoll kapern (akk)“.: „Vermutlich hat das LKA wieder irgendeine gemeine Ermittlungsmaßnahme beantragt. Aber schön, dass wir die Cops so beschäftigen“ freut sich Annegret weiter: „Jede rechte Polizist*in, die nicht zu Abschiebungen oder Häuserräumungen kommt, weil sie sich über Kommunikationsguerilla ärgert, ist ein*e gute Polizist*in.“

Proteste zum Tag ohne Bundeswehr geplant
Die Organisator*innen des Tags ohne Bundeswehr dürften sich derweil über die Aufmerksamkeit bereits Wochen vor dem Aktionstag am 12. Juni freuen. Auf dem Blog tob21.noblogs.org freuen sie sich über die Berichterstattung und teilen mit, dass bereits Gruppen aus 11 Städten ihre Teilname zugesagt haben und mit Adbustings und anderen Aktionen feiern wollen, dass bereits zu zweiten Mal der Tag der Bundeswehr abgesagt wurde. Deshalb fordern die Aktivist*innen, das jeder Tag ein Tag ohne die Bundeswehr sein sollte.

Der Tag ohne Bundeswehr:
https://tob21.noblogs.org/

Berichterstattung zur Anzeige gegen Adbusting wegen Störpropaganda gegen die Bundeswehr:

Tagesspiegel:
https://nl.tagesspiegel.de/form.action?agnCI=992&agnFN=fullview&agnUID=D.B.Cy2n.ByLE.B5UKx.A.blXYbzMrpq_a2LPW5AiL4FIiVAw2Z0FR1c4p9c1ftrXBAlQXBNrHZZoPHpH1AQFkosd0Hn47A45vIds2PiEX4w&utm_source=leute-tempelhof-schoeneberg

Morgenpost (mit Nutzername: bugmenot@doublemail.de und Passwort: bugmenot kommt man hinter die Paywall):
https://www.morgenpost.de/bezirke/tempelhof-schoeneberg/article232319925/Gefaelschtes-Schreiben-Aufruf-zum-Adbusting-gegen-das-Militaer.html

Adbustings der Gruppe „Außenwerbung kunstvoll kapern“ rund ums Kriegsministerium:
https://de.indymedia.org/node/148216

Das gefälschte Satire-Schreiben von AKK:
https://de.indymedia.org/node/148424

Militärgemeindienst gegen Bundeswehr-Satire (Pressemitteilung der DFG-VK):
https://dfg-vk.de/wp-content/uploads/2021/02/2020-03-02_PM_Geheimdienst-vs-Adbusting.pdf

Der „Darf-Schein“-Beschluss der Staatsanwaltschaft:
https://de.indymedia.org/node/120108