Nicht nur aus dem fernen Afghanistan musste die Bundeswehr abziehen. Auch aus dem eher beschaulichen Berlin-Reinickendorf wurden die deutschen Truppen vertrieben. 2020 und 2021 planten die Militärs, den Tag der Bundeswehr in voller Öffentlichkeit zusammen mit einem Stadtteilfest zu begehen. Nun mehren sich die Anzeichen, dass das Militär die Propaganda-Show 2022 lieber hinter Betonmauern und Stacheldraht in der Julius-Leber-Kaserne durchführt. Berliner Antimilitarist*innen feiern das als Erfolg: „Militärpropganda hat in der Öffentlichkeit nix zu suchen!“, sagt Klaus Theodor zu Schlechtenzwerg, die Pressesprecher*in der Kampagne tob21.noblogs.org.
Der Rückzug in die Kaserne
Eine offizielle Ankündigung des Tags der Bundeswehr aus dem Kriegsministerium gibt es zwar noch nicht. Doch bereits Anfang des Jahres vermerkte ein Mitarbeiter der PR-Abteilung der Julius-Leber-Kaserne bei Wikipedia, dass die ehemalige Göring-Kaserne 2022 der Schauplatz des „Tags der Bundeswehr“ sein werde. Mittlerweile gibt es darüber hinaus öffentlich einsehbare Terminankündigungen von Reservist*innen, die auf die Kaserne in Reinickendorf als Veranstaltungsort verweisen.
Antimilitaristische Szene ein Grund zur Sorge?
Bereits 2020 und 2021 wollte die Bundeswehr den Tag der Bundeswehr in Berlin feiern. Die Propaganda-Show sollte zusammen mit einem Volksfest an der Seepromenade in Tegel im Bezirk Reinickendorf stattfinden. Auf dem Volksfest hätte die Bundeswehr mit ihrer Propaganda viele Leute, die das Fest besuchen und zufällig in die Fänge der Bundeswehr stolpern, erreicht. In der Kaserne erreichen die Bundis nur ihre Angehörigen und Fans. Dass die Bundeswehr auf dem Fest nur schwer vor Kritik und Protest zu schützen gewesen wäre, scheint den Militärs egal gewesen zu sein. Offensichtlich machten sie sich nicht allzu große Sorgen wegen der antimilitaristischen Szene der Hauptstadt.
Das ist wenig überraschend: Die Szene bringt zwar seit Jahren zu ihren Demos konstant etwa 300 Menschen zusammen. Doch die Polizei lässt diese im Wanderkessel weit ab des Geschehens im Kreis laufen. „Kein Wunder, dass die Militärs sich vor solchen Protesten nicht fürchten“, findet Klaus Theodor zu Schlechtenzwerg, die Pressesprecher*in der Kampagne tob21.noblogs.org. Umso überraschender sei es, dass die Militärs es sich doch anders überlegt hätten und sich lieber in der Kaserne verstecken. In den Jahren 2020 und 2021 habe es gegen die Planungen des Tags der Bundeswehr vor allem Kommunikationsguerilla-Aktionen wie gefälschte Schreiben und verballhornte Werbeplakate des Militärs gegeben. „Das scheint gereicht zu haben, dass das Militär sich doch lieber vor Protesten in der Kaserne versteckt!“
Kommunikationsguerilla gegen die Bundeswehr
2020 und 2021 reagierten Aktivist*innen mit kreativem Protest in Form von Fake-Schreiben und Adbusting-Aktionen auf die Ankündigung des Tags der Bundeswehr in Berlin. Damit konnten sie der Bundeswehr, die den Tag der Bundeswehr coronabedingt ins Internet verlegen musste, medial die Show stehlen. „Diese eher kleinen Aktionen scheinen die Bundeswehr zu einer Planänderung bewogen zu haben“, bemerkt Klaus Theodor zu Schlechtenzwerg verwundert. Ein Grund, sich die kreativen Protestaktionen genauer anzuschauen.
Gefälschte Schreiben in Tegel
2020 staunten die Einwohner*innen von Tegel nicht schlecht, als sie einen Brief erhielten, in dem der Bezirksbürgermeister Frank Balzer (CDU) die Kooperation mit der Bundeswehr aus moralischen Gründen aufkündigte. Dem Bürgermeister legten sie in den Mund, er sei wegen der Pandemie zur Besinnung gekommen, habe die Propaganda-Show abgesagt und fordere das Geld aus dem Wehretat in den Gesundheitssektor zu stecken. Das Bezirksamt dementierte und lobte die „vielfältige Unterstützung, die die Bundeswehr bei zeremoniellen Anlässen wie unseren diversen Kranzniederlegungen leistet.“ Klaus Theodor zu Schlechtenzwerg dazu: „Mehr als als alberne militaristische Rituale fielen denen beim Thema Hilfe für die Bevölkerung also nicht ein…“
Eine Woche später erhielt die Nachbarschaft das zweite Fake-Schreiben: Hier distanzierte sich Balzer angeblich vom ersten Fake. Dabei überspitzten die Aktivist*innen Aussagen des echten Balzers. Das regte den Bezirksbürgermeister so sehr auf, dass er beide Male persönlich Anzeige erstattete und beim zweiten Mal um die Einschaltung des Staatsschutzes bettelte. Als kurz darauf eine Person beim Aufhängen von Plakaten erwischt wurde, die auf die Fake-Schreiben aufmerksam machten, reichte das LKA Eilantrag bei der Staatsanwaltschaft für eine Hausdurchsuchung ein. Die Staatsanwältin lehnte ab und stellte das Verfahren ein: Adbusting mit eigenen Postern ist nicht strafbar.
Adbusting zum Tag ohne Bundeswehr 2020
Einen Monat später hingen am Tag der Bundeswehr in ganz Berlin antimilitaristische Adbustings mit Slogans, wie: „Vorbildung: [ ] Nazi-Prepper, [ ] Sexist, [ ] Gewaltaffin (Mehrfachnennung gewünscht!)“.
…und 2021
Auch 2021 lief es für die Bundis mit dem Tag der Bundeswehr nicht gut. Bereits im Vorfeld hingen rund ums Kriegsministerium veränderte Bundeswehr-Poster unerlaubt in Werbevitrinen. Auf diesen konnte man „Retten statt Rüstung“ lesen. Zu allem Überfluss verteilten Unbekannte außerdem ein Flugblatt, in dem sich Kriegsminister*in Annegret Krupp-Knarrenbauer dialogbereit zeigt („Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst“) und dazu auffordert, weitere Bundeswehr-Poster kritisch zu ergänzen. Das Kriegsministerium machte anschließend auf cool und befand, dass es sich um Satire handle und keine Maßnahmen erforderlich sein. Der Staatsschutz beim LKA, der auch für die Razzien beim Peng-Kollektiv und dem Zentrum für politische Schönheit verantwortlich ist, hyperventilierte und leitete ein Verfahren wegen „Störpropaganda gegen die Bundeswehr“ ein.
Adbustings in 16 Städten
Der Tag der Bundeswehr 2021 selbst glich für die Bundeswehr einem multimedialen Kabul. Der Bundeswehr gelang es lediglich, etwa 5000 live zugeschaltete Hardcore-Fans mit ihrem Online-Angebot zu erreichen. Zeitgleich fanden in 16 Städten antimilitaristische Aktionen statt. Eine bundesweite Aktionsserie mit gefälschten Poster im Bundeswehr-Design erreichten hunderttausende in den Innenstädten, den Sozialen Medien und in der Berichterstattung in Zeitungen. Die beteiligten Aktionskollektive feierten allesamt Reichweiten-Rekorde. Auf Twitter kommentierten Soldat*innen: „Man, dieses Adbusting zeigt, wie niedrig der Rückhalt in der Bevölkerung ist“ und „Der Moment, wo man als Soldat (…) sich fragt, für was und wen man diesen Job eigentlich macht.“
Das Militär auf dem Rückzug
Die Niederlage ging nicht spurlos an den Militärs vorüber. Offensichtlich kam es zu einer Neubewertung des drohenden Risikos durch die antimilitaristische Szene. Bei Klaus Theodor zu Schlechtenzwerg, der Pressesprecher*in der Kampagne tob21.noblogs.org, sorgt der jetzige Rückzug hinter die Kasernenmauern für Überraschung: „Die üblichen nicht wirklich großen Großdemos zu solchen Anlässen scheinen die ja nicht zu beeindrucken, aber das bisschen Kommunikationsguerilla hat gereicht, damit die Bundis sich doch noch vor der Antimilitaristischen Szene fürchten und sich lieber in der Kaserne verstecken. Hoffentlich gibt es bald mehr davon.“
Proteste zum Tag der Bundeswehr 2022?
Ein bisschen Hoffnung, dass das wahr werden könnte, gibt es sogar. Die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsgegner*innen ruft bereits jetzt zu Protesten zum aktuellen Tag der Bundeswehr auf. Unter dem Titel „Kein Tag der Bundeswehr“ gibt es auf einer Kampagnen-Webpage Infos zu allen Standorten, Übersichten aus den letzten Jahren und viele Aktionsvorschläge: